NIKOLA LUTZ

mem.cont.act

Die belarusische Musikerin und Oppositionspolitikerin Mascha Kalesnikava lebte 12 Jahre in Stuttgart. Eine prägende Lebensphase, ihre Ausbildung zur Spezialistin für Alte Musik und Neue Musik, fand an der HMDK Stuttgart statt. Als aktive und herausragende Akteurin der Freien Szene der Neuen Musik in Stuttgart wirkte sie in einer Vielzahl von Stuttgarter Kultureinrichtungen. Besonders präsent war sie in der Musik der Jahrhunderte und im Kunstraum 34.

Bekanntermaßen wurde sie 2020 als Oppositionspolitikerin in Belarus verhaftet und zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Aktuell ist sie Gefangene in einem belarusischen Straflager. In der Zwischenzeit wurde die belarusische Demokratiebewegung auf brutale Weise eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht. Der Krieg in der Ukraine verschlechterte die Situation weiter, und Mascha wurde in seinem Schatten schwer mißhandelt, was sie in eine lebensgefährliche gesundheitliche Situation brachte. Daher ist es wichtiger denn je, die Erinnerung an sie in der Öffentlichkeit wach zu halten.

mem.cont.act wird dazu am Wilhelmsplatz in Stuttgart durch eine temporäre Installation, die im Zeitraum 28.4.23-09.09.23 vor Ort bleibt, und regelmäßige performative Aktivitäten an Mascha erinnern und auf ihre Situation und die politische Situation vor Ort aufmerksam machen. Dies geschieht auf folgende Art:

Im Anschluss an ihre Verschleppung fand am 19.09.2020 eine Kundgebung am Oberen Schlossgarten statt. Der Ort ist zentral gelegen und in Sichtweite der HMDK, dadurch verbindet er Mascha mit wichtigen Kulturorten in Stuttgart. Hier entsteht rund um ein Porträt von ca 4 x 4 m Größe ein Ort der Begegnung, an dem Interessierte mit dafür zur Verfügung gestelltem wetterfestem Material eigene Spuren in Form von Text, Zeichnungen o.ä. hinterlassen können. Diese Reflexionen, Kommentare, Wünsche, Visionen und Wahrnehmungen seitens des Publikums werden Teil der Installation und manifestieren sich in einem offenen Kunstwerk, das zur Kommunikation einlädt und ein Forum für Selbstwirksamkeit der Partizipierenden schafft. Dieser Kommunikationsprozess erstreckt sich über den kompletten Projektzeitraum und bringt Gedankengut und Wahrnehmungen von Menschen zueinander, die nicht unbedingt gleichzeitig anwesend sein müssen. Der so kreierte Kontext entfaltet eine verstärkende und präzisierende Wirkung in den Teilnehmenden und aktiviert deren eigene Handlungsbereitschaft. Durch die installierten Publikumsbeiträge entwickelt sich der Raum weiter und lädt zur Reflexion über soziale Räume einer zukünftigen Gesellschaft ein.

mem.cont.act steht in der Tradition der arte útil. Dieses eigenständige Genre integriert künstlerisches Handeln aktiv in konkrete soziale Prozesse, ohne jedoch die ästhetische Methodik zu verlassen. Damit schließt mem.cont.act auch an Mascha Kalesnikavas eigene Haltung an, die Musik und Leben mit der größten Selbstverständlichkeit miteinander verband und Kunst als aktiven Eingriff in die Realität lebte, auch wenn sie sich zu einem gewissen Zeitpunkt für einen Wechsel in die politische Handlungsform entschloss.

mem.cont.act wird am 28.4.23, kurz nach dem Geburtstag von Mascha Kalesnikava, mit einem Konzert und Redebeiträgen eröffnet. Zu signifikanten Terminen wie dem Jahrestag ihrer Verhaftung finden weitere Konzerte und Gesprächsveranstaltungen statt. In Kooperation mit der HMDK Stuttgart wird der Ort durch regelmäßige studentische Kurzbeiträge engmaschig aktiviert. Geplant ist eine tägliche musikalisch-literarische Mahnwache, die von Prof. Klaus Dreher betreut wird. Das Projekt als solches sowie ausgewählte Veranstaltungen werden dokumentiert und in einen nota space transformiert. nota ist eine 3-D-Online Plattform, in der interdisziplinäre Arbeit, eigenständige Kunstwerke und kreative Archive gestaltet werden können. Durch ihren hierarchiefreien Aufbau und ihre strukturelle Offenheit ist nota bestens geeignet, als strukturierendes Element an sozialen Prozessen und interdisziplinären Experimenten mitzuwirken. Der so entstehende Online Space ist interaktiv und ermöglicht seinen Nutzern individuelle Erfahungsmöglichkeiten von mem.cont.act im virtuellen Raum. Dies ist grundsächlich von jedem Ort der Welt aus möglich und wird auch über den Projektzeitraum hinaus dauerhaft verfügbar bleiben. Im Rahmen des Projektes wird der mem.cont.act nota space durch Laptops, die z.B. in unseren Partnerinstitutionen HMDK und Kunstraum 34 bei ausgewählten Veranstaltungen im Projektzeitraum installiert sein werden, zugänglich gemacht. Solche Satelliten repräsentieren Maschas Anwesenheit als Künstlerin in unterschiedlichen Stuttgarter Kultureinrichtungen. Bei der Öffentlichkeitsarbeit wird mem.cont.act vom S-K-A-M e.V. und dem Projekt freemascha.org sowie belarusischen Aktivisten unterstützt. Eine Sendung im SWR Fernsehen ist ebenfalls in Planung.

Zwei Jahre nach ihrer Verhaftung und in einer veränderten politischen Landschaft wirkt mem.cont.act daran mit, daß Mascha Kalesnikava, die sich als Politikerin und Künstlerin für die Freiheit anderer einsetzte, im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert bleibt. Durch Zusammenarbeiten mit Amnesty International, die in diesem Kontext bereits stattgefunden haben wissen wir, daß für sie selbst öffentliches Interesse eine Schutzwirkung besitzt, die nicht zu unterschätzen ist, auch wenn wir nicht in der Lage sind sie zu befreien. Zu dieser Schutzwirkung möchte mem.cont.act einen Beitrag leisten.
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